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Literarisches Inselhopping

Wer außer Petros Markaris zur griechischen Literatur etwas finden möchte, muss entweder erfinderisch suchen oder zeitlich zurückgehen – und stößt dann wahrscheinlich auf Kazantzakis oder auf die Nobelpreisträger Griechenlands: Odysseus Elytis (1979) und Giorgos Seferis (1963). Ich empfehle den Suchenden zwei sehr unterschiedliche Bücher: Die Mörderin von Alexandros Papadiamantis und Die Insel der Vergessenen von Victoria Hislop. Beide handeln vom Leben auf griechischen Inseln – Skiathos und Kreta – und von den schwierigen Lebensbedingungen der Inselbevölkerung Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

PapadiamantisEines der beeindruckendsten Werke der griechischen Literatur ist Die Mörderin von Alexandros Papadiamantis (erschienen 1903). Die Novelle wurde 1989 im Suhrkamp Verlag übersetzt publiziert. Hadoula sitzt am Bettchen ihrer neugeborenen Enkelin und denkt über die schwierige Zukunft der Frauen auf der Insel Skiathos nach, deren Mitgift für eine Familie eine große Last bedeutete. Sie beschließt dieses Schicksal ihrer Familie zu ersparen und tötet das Baby. Später, auf ihrem Weg über die Insel, kommt sie zu einem Bauernhaus in dessen Hof zwei kleine Mädchen spielen und sie beschließt, fast reflexartig, die Kinder in den Brunnen zu werfen, wo sie ertrinken. Weitere Gelegenheiten für Morde an Mädchen ergeben sich, doch ist ihr die Gendarmerie schon auf den Fersen. Auf ihrer Flucht über die Insel plagt Hadoula einerseits das schlechte Gewissen, andererseits kann sie mit ihren  – ihrer Meinung nach – guten und erlösenden Taten nicht aufhören. Auf dem Weg zu einer Einsiedelei mitten im Meer ertrinkt die alte Frau schließlich.

Frangojannoú war noch etwa zehn Schritte vom Heiligen Erlöser entfernt. Unter ihren Füßen gab es keinen Boden mehr; sie ging in die Knie. Das salzige, bittere Wasser drang ihr in den Mund. Wild schwollen die Wellen an, als gerieten sie in Wallung. Wasser drang ihr in Nase und Ohren. Da fiel Frangojannoús Blick auf Bostáni, auf das öde, nordwestliche Gestade, wo man ihr einen Acker als Mitgift überlassen hatte, damals, als sie eine junge Braut war, als ihre Eltern sie verheirateten, sie „unter die Haube“ gebracht hatten. „Oh! Da ist ja meine Mitgift.“ sagte sie. Dies waren ihre letzten Worte.

SkiathosSkiathos

Alexandros Papadiamantis starb 1911 auf der Insel Skiathos. Er war einer der größten griechischen Schriftsteller, der die Vielfalt der griechischen Sprache, die damals noch in einem Kampf zwischen der Katharavousa und der Volkssprache die griechische Literatur beherrschte, gekonnt umsetzte. Heute ist in Skiathos ein Museum.

Papadiamantis‘ Haus und das heutige Museum in Skiathos

Denkmal Papadiamantis

513IIXQxxwLDie Insel der Vergessenen ist ein Roman von Victria Hislop, der 2007 auf Englisch erschien, in Griechenland ein großer Erfolg war und sogar von Theodoros Papadoulakis als Serie im griechischen TV verfilmt wurde (hier ein paar Szenen des Trailers). Von dem sonnigen Urlaubs-Kreta, wo die Archäologin Alexis mit ihrem Freund ihre Ferien verbringt, reist Alexis in die Vergangenheit auf die Suche nach der geheimnisvollen Familiengeschichte ihrer Mutter Anna. Die Familie stammt aus dem Ort Plaka, der gegenüber der Insel Spinalonga liegt,  die von 1903 bis 1957 eine Leprakolonie war. In Spinalonga lebten auch die Großmutter und die Tante von Anna. Der Roman handelt von dem Leben auf Spinalonga und dem Schicksal der aus der Gesellschaft ausgestoßenen Kranken. Wie auch bei Papadiamantis’ Erzählung wird zudem die Angst der Frauen ohne Mitgift keinen Ehemann zu finden thematisiert. Neben der Familiengeschichte wird die Geschichte Kretas, insbesondere die Jahre der Besatzung und des Bürgerkriegs, skizziert.

Spinalonga, Quelle: visitgreece.gr

Spinalogna, Quelle: visitgreece.grSpinalogna, Quelle: visitgreece.grSpinalogna, Quelle: visitgreece.gr

Victoria Hislop (geb. 1959) lebt in Großbritannien und Kreta. In ihrem zweiten Roman The Return (auf Deutsch Das Herz der Tänzerin) geht es um eine Liebesgeschichte in den Wirren des Spanischen Bürgerkriegs. The Threat (2012) handelt wieder von einer griechischen Familiengeschichte. Hislop ist keine große griechische Autorin, aber eine Schriftstellerin die weiß, welche Themen sich gut verkaufen und die dieses Ziel gut umzusetzen weiß. Auf ihrer Homepage gibt die Autorin sogar Tipps für griechische Restaurants in London und Athen.

Bei beiden Büchern handelt es sich um keine leichte Strandlektüre und auch wer eine Antwort für die Gründe der griechischen Wirtschaftskrise sucht, findet sie hier nicht. Dennoch lohnt sich meiner Meinung nach das Lesen der griechischen Literatur abseits der derzeit üblichen Klischees.

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